- römische Kultmusik: Zu Ehren der Götter und Ahnen
- römische Kultmusik: Zu Ehren der Götter und AhnenLange wurde die Musik der vermeintlich »unmusikalischen« Römer als »unfruchtbares und untätiges Genießen griechischer Errungenschaften« abgetan (C. Sachs).Wie aber kann ein Volk, zu dessen Geschichte die intensive kriegerische oder friedliche Begegnung mit anderen Kulturen der Antike gehörte, das deren Musik aufnahm, veränderte, mit Eigenem durchsetzte, musikalisch unkreativ gewesen sein, wenn über 4000 Stellen im Werk seiner Historiker und Dichter aus eigener und Berichterstatter aus fremder Umgebung von der eigenständigen Musik der Römer Zeugnis ablegen, wenn zudem unzählige Bildwerke im römischen Kerngebiet und in den Provinzen ebenso viele verschiedene Anlässe und Zusammenhänge römischen Musizierens wiedergeben? Die oft subjektiv gefassten schriftlichen Nachrichten der Chronisten widerspiegeln indes nicht immer die wahren Verhältnisse, Äußerungen von Schriftstellern, Rednern und Poeten mit zuweilen satirischen und moralisierenden Ansichten verzerrten das Bild, manche bezogen sich mehr auf die Vergangenheit als auf die Gegenwärtigkeit eines reichen Musiklebens, das die Römer schon zur Zeit der Könige gekennzeichnet zu haben scheint und gewiss in der Republik und in der Kaiserzeit blühte. Objektiver, damit zuverlässiger sind Inschriften, Papyri, Verträge mit Musikern, Siegerlisten und Ehrendekrete, die das Musikleben zu erschließen helfen. Wenige Ausgrabungsfunde in Form von Musikinstrumenten sind erhalten geblieben, meist stark beschädigt, bildliche Darstellungen zeugen von der Vielseitigkeit der musikalischen Praxis. Die Denkmäler, Musikszenen auf Säulen, Triumphbögen, Wandgemälden, Fußbodenmosaiken, bei Skulpturen, stammen aus der späteren Republik und aus der Kaiserzeit, Reliefs an Altären, Sarkophagen und Grabsteinen eher aus den darauf folgenden Zeiten, dem Späthellenismus und dem frühen. Christentum. Die zahlenmäßig sehr geringen erhaltenen Reste antiker Notationen aus dem Hellenismus und aus der frühen Kaiserzeit gehören eher in die griechische Tradition, die Römer selbst haben offenbar keine eigene Notation entwickelt.Zu den frühesten Belegen über das römische Musikleben zählen Nachrichten über die Kultmusik, für die eine lange, kontinuierliche Tradition angenommen werden kann, von der frühen Königszeit bis zum Aufkommen des Christentums. Die Musik, über deren Formen nichts bekannt ist, galt der Verehrung der Götter und den zahlreichen Opferhandlungen, den Verstorbenen bei Bestattungen und häuslicher Religionsübung. Die Tibia, allein, in Gruppen oder zusammen mit anderen Instrumenten wurde in den Kulthandlungen vorrangig eingesetzt, z. B. bei kultischen Handlungen im häuslichen Rahmen der Familie oder beim Tieropfer. Auch über den kultischen Bereich hinaus darf die Tibia als wichtigstes Instrument der Römer gelten. Sie hatten die Doppelschalmei mit zwei Mundstücken aus je einem doppelten Rohrblatt früh schon von den Etruskern übernommen, bei denen das Instrument bereits eine lange zurückreichende Geschichte aufwies, bevor die Römer im 8. Jahrhundert v. Chr. mit den Griechen in Berührung kamen, sodass die Abstammung der Tibia vom griechischen Aulos wenig wahrscheinlich ist. Die Römer bauten das Instrument variantenreich aus. Außer den zwei geraden, gleich langen Rohren verwendeten sie in Länge und Stärke ungleiche Spiel- bzw. Bordunröhren und nutzten verstärkt einen aufwärts gebogenen Schalltrichter, besonders in den späten Zeiten. Technische Verfeinerungen bestanden in metallenen Drehringen, Bombyx genannt, die über die Rohre gestülpt wurden und mit deren Hilfe man die einzelnen Tonlöcher öffnen oder schließen konnte. Man erfand mancherlei Spielhilfen, um die Handhabung zu erleichtern und die Klänge des Instruments zu verändern, je nachdem, welche Wirkung man erzielen wollte. An vielen Tibien sind senkrecht aufragende Aufsätze zu sehen. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Pflöcke, die man in die Tonlöcher einfügte, wenn man bestimmte Töne vermeiden oder die Löcher verengen wollte. Jede dieser unterschiedlich gestalteten Tibien hatte offenbar ihre eigene Funktion, die oft mit ihrer Bezeichnung deutlich gemacht wurde.Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. fand mit der Einführung griechischer Verehrungsformen die Lyra ihren endgültigen Platz in der Kultmusik, gespielt z. B. bei der Totenklage der Frauen. Die Instrumente, griechisches Erbe, hatten im römischen Imperium einen runden, halbschalenförmigen Klangkörper mit zwei aufragenden Jocharmen und einem diese verbindenden Querjoch. Von dieser Grundform gab es nur wenige Abweichungen, doch war die Saitenzahl variabel. Vier bis sieben Saiten hatten frühere Instrumente, spätere bis zu zwölf, selten zehn. - Sehr früh schon, zur Zeit der Könige, ist nach sagenhafter Überlieferung die Rede von der Verwendung von Opfertrompeten; in späterer Zeit entwickelten die Römer ein Fest zur kultischen Reinigung der Tuba, das Tubilustrium; angesehene priesterliche Bläser sind namentlich bekannt geblieben. - Als kultische Lieder stimmte man »Carmina« beziehungsweise auch »Cantus« an. Mit »Carmen« bezeichneten die Römer Lieder zu mancherlei Verwendung, zur Fürbitte, zur magischen Beschwörung und Verfluchung. »Gebetscarmen« und »Zaubercarmen« stehen bei ihnen wie in vielen anderen Gesellschaften in engem Zusammenhang mit der Bedeutung von »incantare« (etwa »bezaubern«), es sind »Incantamenta«, die auch mit Rezitieren oder Sprechen mit gehobener oder magisch verstellter Stimme gleichgesetzt scheinen. Vielfältig war die Wirkung dieser magischen Lieder: Priesterinnen, die sie anstimmten, konnten die Flüsse aufhalten, den Lauf der Gestirne ändern, den Erdboden spalten, und die Manen aus den Gräbern beschwören, so wird fabuliert. Hexen wurde die Fähigkeit zugeschrieben, Feldfrüchte und Schlangen besingen und den Mond herabziehen zu können.. Magische Lieder dienten dem Liebeszauber, dem Schutz vor Gefahr, der Dämpfung menschlichen Zorns, wie überliefert wurde. Auch kultischer Chorgesang gehörte alter römischer Tradition an. Sühne- und Bittgesänge erklangen bei den entsprechenden Prozessionen, chorische Jugendlieder setzte man bei Fürbitten um Regen, Abwendung von Gefahr und Krankheit und zur Versöhnung mit den Göttern ein. Schließlich hat auch in Rom Musik in den antiken Mysterienreligionen eine hervorragende Rolle gespielt haben. Tibiaklänge, Rahmentrommel- (Tympana) und Kleinbeckenschlag (Cymbala), von Tänzerinnen mit theatralischem Schwung ausgeführt, trieben im Dionysoskult, im Römischen Reich Bacchuskult genannt, zu ekstatischen Zuständen, und diese Instrumente erklangen auch im origiastischen Kult der aus Asien übernommenen Kybele. In spätrepublikanischer Zeit erschien mit dem aus Ägypten übernommenen Isiskult das Sistrum in Rom, die heilige Priesterrassel, unter deren metallischem Rasselklang einst die kuhohrigeHathor Göttin der Liebe und der Musik, im Niltal verehrt worden war. In Rom dienten stellenweise die bereits genannten Klangwerkzeuge, dazu Tuba, vereinzelt auch Flöteninstrumente neben dem Sistrum der Verehrung der Isisund den ihr gewidmeten Opferhandlungen.Prof. Dr. Ellen HickmannBecker, Heinz: Zur Entwicklungsgeschichte der antiken und mittelalterlichen Rohrblattinstrumente. Hamburg 1966.Musikgeschichte in Bildern, begründet von Heinrich Besseler u. a. Herausgegeben von Werner Bachmann. Band 2, Lieferung 5: Fleischhauer, Günter: Etrurien und Rom. Leipzig 21978.
Universal-Lexikon. 2012.